Von Halle bis Sydney: Chanukka-Gedenken am Donnerstagabend hat Trauer, Solidarität und Warnung vor Antisemitismus verbunden
Unter dem Motto „Von Halle bis Sydney“ versammelten sich am Donnerstagabend zahlreiche Menschen am Steintor in Halle (Saale), um der Opfer eines antisemitischen Anschlags im australischen Sydney zu gedenken. Im Rahmen einer öffentlichen Chanukka-Veranstaltung erinnerte die Jüdische Gemeinde Halle gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Initiativen, Vertretern der Stadt und solidarischen Bürgerinnen und Bürgern an die 15 Menschen, die am 14. Dezember bei einem Attentat am Bondi Beach erschossen worden waren. Zwei Attentäter hatten die Chanukka-Feier an dem beliebten Küstenabschnitt angegriffen.
Was viele tausend Kilometer voneinander trennt, rückte an diesem Abend eng zusammen: Australien und Sachsen-Anhalt, Bondi Beach und das hallesche Steintor, Trauer und Hoffnung, Entsetzen und der Wille zur Solidarität. Die Veranstaltung verband das traditionelle Entzünden der Chanukka-Kerzen mit einem politischen und gesellschaftlichen Appell gegen Antisemitismus, Gewalt und Gleichgültigkeit.
Ein Ort des Gedenkens im öffentlichen Raum
Das Steintor wurde an diesem Abend zu einem Ort stiller Erinnerung. Inmitten des städtischen Alltags, zwischen Straßenbahnverkehr und Passanten, entstand ein Raum des Innehaltens. Kerzen wurden an der Chanukkia entzündet, die Namen und Daten der 15 ermordeten Menschen verlesen. Viele Anwesende hielten Kerzen in den Händen.
Mit der Wahl des öffentlichen Raums setzte die Veranstaltung bewusst ein Zeichen: Antisemitische Gewalt sei kein Randthema und keine Angelegenheit einer einzelnen Gemeinschaft, sondern betreffe die gesamte Gesellschaft. Das Gedenken sollte sichtbar, hörbar und nicht zu übersehen sein.
Organisiert wurde die Veranstaltung unter anderem vom Jungen Forum. Unterstützt wurde sie von Vertreterinnen und Vertretern der Jüdischen Gemeinde. Für die Stadt Halle nahm Kulturdezernentin Judith Marquardt teil, selbst gebürtige Australierin. Ihre Anwesenheit unterstrich die besondere Verbindung zwischen den beiden Orten und verlieh dem Gedenken eine zusätzliche persönliche Dimension.

Chanukka zwischen Trauer und Widerstand
Chanukka gilt als Fest des Lichts, der Hoffnung und des Widerstands gegen Unterdrückung. In Halle bekam diese Symbolik an diesem Abend eine besondere Schwere. Die Kerzen erinnerten nicht nur an ein religiöses Fest, sondern standen auch für das Weiterbestehen jüdischen Lebens trotz Gewalt und Bedrohung.
Shania Timpe vom Jungen Forum beschrieb die Atmosphäre der Veranstaltung als ein bewusstes Gegenbild zum Terror. „Die Veranstaltung war ein friedliches und fröhliches Fest des Lichts und der Gemeinschaft“, sagte sie mit Blick auf den Anschlag. Chanukka stehe „für Widerstand, Hoffnung und die Freude am Miteinander. Ein Symbol dafür, dass Licht auch in dunklen Zeiten nicht erlischt.“
Gleichzeitig ließ Timpe keinen Zweifel daran, dass es sich bei dem Attentat um einen gezielten Akt antisemitischer Gewalt handelte. Der Anschlag sei ein Akt „brutaler Menschenfeindlichkeit“ gewesen. „Ausgerechnet ein Ort des Friedens und der Freude wurde von zwei Attentätern zur Bühne von Gewalt und Mord, um Angst und Schrecken zu verbreiten.“
Der Angriff habe sich nicht nur gegen die unmittelbar Betroffenen gerichtet. „Sondern gegen die Idee von Gemeinschaft, Zusammenhalt und jüdische Identität.“ Diese Dimension mache antisemitische Anschläge besonders gefährlich: Sie zielten darauf ab, Menschen nicht nur körperlich zu verletzen, sondern gesellschaftliche Bindungen zu zerstören.
Besonders hervorgehoben wurde während der Veranstaltung ein Mann, der während des Anschlags in Sydney einen der Attentäter entwaffnet hatte. Sein Eingreifen rettete vermutlich weitere Leben. Ohne Pathos wurde dieser Moment als Beispiel für Zivilcourage und Mitmenschlichkeit gewürdigt – als Gegenbild zur Gewalt und als Beweis dafür, dass individuelles Handeln einen Unterschied machen kann.
In einer Zeit, in der antisemitische Gewalt weltweit zunimmt, wurde dieser Akt als Symbol verstanden: für Solidarität jenseits religiöser oder kultureller Zugehörigkeiten und für den Mut, nicht wegzusehen.
Kritik an symbolischer Solidarität
Deutlich wurde an diesem Abend auch der Frust vieler jüdischer Menschen über das, was sie als unzureichende gesellschaftliche Reaktion auf Antisemitismus empfinden. Shania Timpe formulierte diesen Unmut in eindringlichen Worten. „Jüdinnen und Juden fühlen sich im Stich gelassen. Sie kritisieren, dass wir nur gedenken, wenn es um ermordete Juden geht. Sie vermissen echte Solidarität.“
Statt nachhaltiger Unterstützung gebe es oft nur wohlfeile Worte. Abgespeist würden sie mit Plattitüden und schwerfälligen Politikerreden. Timpe beschrieb ein Gefühl permanenter Warnung, das ungehört verhallt: „Sie müssen mahnen, warnen, betteln, sich den Mund fusselig reden immer und immer wieder, ohne dass sich etwas wirklich ändert.“
Besonders bedrückend sei die Erfahrung, mit einer dauerhaften Bedrohung zu leben. „Sie leben mit der Gewissheit, dass das nächste Massaker nur eine Frage der Zeit ist und Sie wissen, dass die Welt ihnen die Schuld daran geben wird.“ Diese Wahrnehmung, so wurde deutlich, ist Teil einer tiefen Erschöpfung innerhalb jüdischer Gemeinschaften.
Eine globale Erfahrung von Verlust
Auch Max Privorozki, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Halle, betonte die emotionale Nähe zu den Opfern in Sydney. Das grausame Attentat habe alle fassungslos gemacht. Und obwohl die Ereignisse viele tausend Kilometer entfernt passiert seien, „fühlt es sich die Verluste für uns an, als wären sie im eigenen Umfeld passiert.“
Diese Nähe sei kein Zufall. Sie resultiere aus einer Kette von Erfahrungen, die jüdische Gemeinschaften weltweit teilen. „Das liege daran, dass wir schon viele Attentate auf Juden in aller Welt erleben mussten.“ Der Anschlag von Sydney sei kein isoliertes Ereignis, sondern Teil eines größeren Musters.
Privorozki sprach von einer strategischen Vorbereitung, die solchen Taten häufig vorausgehe. Antisemitische Gewalt sei geplant, ideologisch unterfüttert und gezielt auf symbolisch bedeutsame Momente ausgerichtet.
Der Vorsitzende zog eine direkte Linie zwischen dem Anschlag in Sydney und früheren Terrorakten. Er erinnerte an den Anschlag auf die hallesche Synagoge an Jom Kippur 2019, an den Anschlag auf eine Synagoge in Manchester sowie an die Ereignisse des 7. Oktober 2023.
Besonders perfide sei, dass jüdische Feiertage gezielt für Angriffe genutzt würden. „Das besonders perfide an den Attacken war, dass jüdische Feiertage genutzt wurden, um Menschen anzugreifen und zu töten.“ Ziel sei nicht nur der Mord an Einzelnen, sondern die Demoralisierung einer gesamten Gemeinschaft. „Juden soll jedes Gefühl der Sicherheit genommen werden.“
Diese Strategie treffe den Kern jüdischen Lebens: religiöse Praxis, Gemeinschaft und öffentliche Sichtbarkeit. Feiertage, die eigentlich der Freude und dem Zusammenhalt dienen, würden so zu Momenten maximaler Gefahr.
Enthemmter Antisemitismus
Privorozki beschrieb einen drastischen Anstieg antisemitischer Einstellungen und Taten. Der Antisemitismus sei in den letzten zwei Jahren explosionsartig gewachsen und habe eine ungeahnte Enthemmung erfahren. Besonders scharf kritisierte er Versuche, antisemitische Gewalt zu relativieren. „Wer glaubt, der Morden mit Verweis auf die israelische Regierung relativieren zu können, entlarvt am Ende nur seinen eigenen Hass auf Juden.“
Auch gegenüber öffentlichen Bekundungen der Betroffenheit zeigte sich Privorozki skeptisch. Man falle nicht „auf jede herein, die jetzt Betroffenheit heucheln, aber bis vor Kurzem mit ihrem Antisemitismus und sogenannten Antizionmismus den Hass erst geschürt haben.“ Deshalb dürfe man nicht müde werden, diese Verlogenheit offenzulegen.
Trotz aller Bedrohung betonte Privorozki auch den inneren Zusammenhalt der jüdischen Gemeinschaft. Der Anschlag lasse sie enger zusammenrücken. Solidarität bleibe nicht abstrakt: Die Jüdische Gemeinde Halle habe die Gemeinde in Bondi Beach mit einer Geldspende finanziell unterstützt.
Zugleich machte er deutlich, dass antisemitische Anschläge zwar in erster Linie Juden träfen, aber immer eine gesamtgesellschaftliche Dimension hätten. Es seien „Akte gegen unsere Art des Zusammenlebens, gegen unsere Werte, gegen unsere Demokratie.“ Jeder Angriff auf Juden ziele letztlich auf die offene Gesellschaft.
Der Blick aus der Gemeinde
Igor Matviyets, Mitglied der halleschen Jüdischen Gemeinde, ordnete die Ereignisse in eine globale Perspektive ein. Aus jüdischer Sicht nähmen derartige Ereignisse zu. „Juden sind in der Öffentlichkeit weltweit nicht sicher.“ Gewalttätige Angriffe würden rasant zunehmen, gleichzeitig brächen Verbündete weg.
Besonders schmerzlich sei das Schweigen weiter Teile der Gesellschaft. Matviyets vermisste die Zivilgesellschaft, „wenn es man nicht zu einem Massaker an Juden kam.“ Er fragte, wo diese Zivilgesellschaft sei, wenn an der Universität Halle Veranstaltungen mit Antisemiten organisiert würden oder „wer widerspricht, wenn es an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule immer wieder zu Grenzübertritten kommt?“
Matviyets verwies darauf, dass gesellschaftliche Mobilisierung durchaus möglich sei. Das zeige das Engagement der Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus und die AfD. Umso schmerzhafter sei es zu sehen, wie viele Menschen sich beim Thema Antisemitismus nicht bewegten. „Für mich fühlt es sich schmerzhaft an zu sehen, wieviele sich da nicht herausbewegen, nicht dazu in der Lage sind auf die Straße zu gehen, sichtbar zu sein.“
Er formulierte eine düstere Prognose: „Wenn die Juden erfolgreich aus der Öffentlichkeit vertreiben wurde, dann wird es auch das Ende unserer freiheitlichen Grundordnung sein.“ Antisemiten weltweit, unabhängig von ihrer politischen Verortung, hätten dasselbe Ziel: „die Vertreibung von Minderheiten, das Gleichschalten der Öffentlichkeit, aus Ausradieren von individuellen Meinungen.“
Dass sich dieser Hass auf eine vergleichsweise kleine Gruppe richte, mache Juden besonders verwundbar. Weltweit gebe es nur 15 bis 20 Millionen jüdische Menschen – „leider das dankbarste Ziel“.












„Die Namen und Daten der 15 Ermordeten verlesen.“
Psychologisch sehr geschickt! Damit kann man Passanten beeindrucken.
Werden demnächst auch mal die Namen und Daten der 60000 getöteten Palästinenser verlesen, oder haben die keine Namen und sind bloß eine Zahl?
Stell dich hin und fang an zu verlesen, es ist nicht schwer.
Sind die 60000 aus gesicherten Quellen oder bläst du nur in das Horn der Hamas?
Wer hindert dich an der Organisation einer Gedenkveranstaltung für die Palästinenser?
Schade, dass im offiziellen Sprachgebrauch in Deutschland nur von einem antisemitischen Anschlag die Rede ist und nicht die Muslime als Judenhasser und die Verantwortlichen dieses und anderer großen Terroranschläge konkret benannt werden.
Vielleicht waren es ja gar nicht DIE Muslime sondern Muslime? Es waren zwei, nicht zwei Milliarden. Bloß gut, dass der „offizielle Sprachgebrauch in Deutschland“ da noch differenzieren kann.
Nein, das ist nicht schade. Denn die Gesellschaft ist nicht dafür verantwortlich, Ihnen Ihren Islamhass angenehm zu machen.
Antisemitismus und Angriffe auf Juden gab es in Deutschland schon immer, auch nach dem 2. WK und vor der „Flüchtlingswelle“. Guck dir nur die Kommentare hier zu den einzelnen Themen an. @Fragjanur rechtfertigt seinen Antisemitismus mit Fake-Zahlen. Ohne Widerspruch….
Und da sind sie hier gleich – diejenigen, die oben angesprochen sind. Ekelhaft.