Heute vor 55 Jahren: Baubeschluss für Halle-Neustadt

Ein kleines Jubiläum steht am heutigen 17. September an. Denn vor 55 Jahren, im Jahre 1963, erfolgte im Politbüro der DDR der Baubeschluss für die neue Großwohnsiedlung „Halle-West“.
Die Geschichte der Neustadt begann weit vor Baubeschluss und Grundsteinlegung. Denn die ersten Überlegungen für eine Neubausiedlung gab es bereits um 1900, da durch die zunehmende Industrialisierung auch die Bevölkerung in Halle wuchs. Schon damals dachte man über das Gebiet zwischen Passendorf und Nietleben nach, doch die schwierigen Bodenverhältnisse bescherten möglichen Plänen ein schnelles Ende. Auch in den 1920er Jahren nahm man die Idee wieder auf und legte sie wohl aus gleichen Gründen wie 20 Jahre zuvor in den Rundordner.
Erst in den 1950er Jahren bekam das Projekt einen neuen Schub, da die DDR-Oberen eine Notwendigkeit erkannten, für ihre Chemiestandorte auch genügend Wohnraum zur Verfügung zu stellen. So wurde dann 1963 beschlossen die Chemiearbeiterstadt im Westen von Halle zu bauen. Chefarchitekt des ehrgeizigen Projektes war Richard Paulick, der zuvor schon in Shanghai Chef des dortigen Stadtplanungsamtes war. Am 15. Juli 1964, einem heißen Tag, erfolgte dann um 14.30 Uhr auf dem Gelände der künftigen 1. POS die Grundsteinlegung für den neuen Wohnbezirk Halle-West durch Horst Sindermann, 1. Sekretär der Bezirksleitung Halle der SED und Mitglied des Politbüros des ZK der SED. Hier ist heute das Landesbildungszentrum für Blinde und Sehgeschädigte. Erst knapp drei Jahre später wurde er zum selbstständigen Stadtkreis erklärt und erhielt am 12. Mai 1967 den Namen Halle-Neustadt. Am 9. August 1965 konnten dann die ersten Bürger ihre neuen, modernen Wohnungen beziehen – mit Fernwärme, aber auch noch inmitten einer Großbaustelle.
Die wachsenden Einwohnerzahlen machten auch eine gute Erschließung per Bahn nötig. Denn ein eigenes Auto war zu DDR-Zeiten eine Seltenheit. Am 24. April 1967 um 18.10 Uhr startete vom Hauptbahnhof aus die erste S-Bahn-Fahrt zum damaligen Endpunkt an der Zscherbener Straße. Zwei Jahre später rollte die S-Bahn dann bis nach Dölau, Belzerzüge fuhren nach Buna und Leuna – schließlich diente Neustadt als Wohnstadt für die Chemiearbeiter. Die Belzerzüge sind längst eingestellt, die S-Bahn fährt nur noch im 30-Minuten-Takt zwischen Nietleben und Hauptbahnhof, der Ast nach Dölau ist stillgelegt. 1970 wurde das Zentrale Lehrlingswohnheim übergeben. 1973 gründete sich die Freiwillige Feuerwehr Neustadt. Und 1974 entsteht das erste Punkthochhaus am Tulpenbrunnen, der Block 224. Und zum 20 jährigen Jubiläum der Grundsteinlegung 1984 erhielt Neustadt sogar sein eigenes Wappen. Auf rotem Hintergrund sind drei silberne Tauben zu sehen, die aus einer gold-grünen Knospe aufsteigen und an Picassos Friedenstauben angelehnt sind. Darüber liegt ein goldener Schlüssel. Dieser sechseckige Griff in Form eines Benzolrings soll an die Verbundenheit zur Chemie erinnern.
Die Wende brachte den Umbruch. Zum einen verlor Neustadt seine Eigenständigkeit. Zur Kommunalwahl entschied sich eine Mehrheit für eine Eingemeindung nach Halle (Saale). Außerdem bekam der Stadtteil nun Straßennamen. Zu DDR-Zeiten kannte man nur Block-Nummern. Und auch die Einwohnerzahlen sanken rapide. Entweder zogen die Menschen der Arbeit hinterher – oder verließen es Viertel aus Imagegründen, waren die Plattenbauten doch als „Arbeiterschließfächer“ verrufen. Viele Gebäude wurden abgerissen, ganze Viertel werden umgestaltet, aus Plattenbauten wurden „Town-Häuser“. Und im Rahmen der Internationalen Bauausstellung IBA 2010 entstand unter anderem ein Skatepark. Auch die fünf Hochhausscheiben sind immer wieder Gegenstand der Diskussion. Vier der markanten Gebäude stehen leer – aber nicht mehr lange. In eine Scheibe zieht die Stadtverwaltung ein, eine weitere Scheibe wird in Studenten-Wohnungen umgestaltet. Im Jahr 1999 fiel das legendäre Prisma-Kino. Heute steht hier das Neustadt-Centrum. Ein Jahr zuvor erhielt Neustadt auch Anschluss an das Nahverkehrssystem von Halle, 1998 begann der Bau der Straßenbahn. Nicht ohne Proteste, viele Neustädter beklagten, dass durch den Bau der Straßenbahn der grüne Mittelstreifen auf der Magistrale verschwindet. Heute wird die Tram gut genutzt, was wiederum Auswirkungen auf die S-Bahn hat, die mit schwindenden Fahrgastzahlen zu kämpfen hat.
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