Kommentar: Konzeptitis, Kompetenzgrenzen und Kammerjäger – Halles Ratten haben gut lachen

Es ist ein Schauspiel, das so typisch für die kommunalpolitische Realität ist, dass es fast schon tragikomisch wirkt: Während sich in Halle die Ratten in aller Ruhe durch Parks, Spielplätze und Haltestellen bewegen – und dabei offenbar keine Eile haben –, gerät der Sozialausschuss ins Schwitzen. Nicht etwa, weil eine gesundheitliche Krise bevorsteht, sondern weil man sich mit Händen und Füßen gegen ein Konzept zur Bekämpfung wehrt. Nicht gegen die Ratten. Nein. Gegen ein Konzept.
Die Fraktion Hauptsache Halle wollte es eigentlich ganz diplomatisch: erst prüfen, dann planen. Wie viele Ratten gibt es? Wo genau liegen die Hotspots? Was kostet ein strukturiertes Vorgehen, und wie könnten die Bürger einbezogen werden? Klingt eigentlich nach kommunalem Pflichtprogramm. Doch die Mehrheit winkt ab – zu vage. Konzeptitis! Außerdem, so die sinngemäße Diagnose der Verwaltung: Wir machen das doch längst alles. Und sogar digital. Mit Fotos. Mit Plänen. Mit 650 Köderstellen. Was wollen Sie denn noch?
Digitale Köder, analoge Wirklichkeit
Die Stellungnahme der Stadt liest sich wie das Handbuch eines Gesundheitsamts, das zwar über jeden Sichtkontakt mit einem Nager bestens Buch führt, aber gleichzeitig mit rechtlicher Präzision begründet, warum es eigentlich nicht zuständig ist. Private Grundstücke? Eigentümerproblem. Müllberge an Imbissständen? Nur wenn’s städtisch ist. Ratten am Spielplatz? Da sind wir schon dran. Dass die Tiere sich an Eigentumsgrenzen nicht halten, bleibt ein biologisches Kuriosum, dem das Verwaltungshandbuch offenbar keine Seite gewidmet hat.
Besonders bemerkenswert: Die Stadt hat sich nicht nur mit einer Spezialsoftware gewappnet, sondern mit einem ganzen Paragraphenarsenal – Infektionsschutzgesetz, Schädlingsbekämpfungsverordnung, Zuständigkeitsabgrenzung nach Eigentumsverhältnis. Alles klingt durchorganisiert. Doch die Realität sieht oft anders aus: Dort, wo Futterreste auf dem Marktplatz verteilt werden, nutzen auch die besten PDF-Dokumente und digitalen Lagepläne nichts. Dort hilft nur: handeln. Aber das scheint politisch zu viel verlangt.
Anträge auf dem Prüfstand – und unter dem Teppich
Dass der Antrag von FDP / Freie Wähler mit einem Katalog an Maßnahmen – QR-Codes zur Meldung, neue Mülleimer, häufigere Leerung, Infokampagnen – ebenfalls abgelehnt wurde, sagt mehr über die politische Kultur aus als über die Vorschläge selbst. Statt zu sagen: „Gute Idee, lasst uns darüber beraten“, lautete die implizite Botschaft: „Nicht unser Thema. Nicht jetzt. Nicht so.“
Die eigentliche Botschaft an die Bürger lautet damit: Wenn Sie das nächste Mal eine Ratte am Spielplatz sehen, seien Sie bitte so freundlich und prüfen zunächst die Eigentumsverhältnisse des Bodens, auf dem das Tier gesichtet wurde. Danach wenden Sie sich an die richtige Stelle, versehen mit Koordinaten, einer Fotodokumentation und, wenn möglich, einer Bestätigung über die Art des Nagetiers.
Ein Erfolg für die Ratten – eine Bankrotterklärung der Politik
Verwaltung und Politik haben sich am Dienstagabend gegenseitig versichert, dass alles in bester Ordnung sei. Nur das Problem draußen vor der Tür scheint sich nicht daran zu halten. Die Nager, so darf man vermuten, verfolgen die Debatte mit einem Nagen am Stromkabel und einem zufriedenen Quieken in der Kanalisation.
Denn während sich der Ausschuss im Klein-Klein von Zuständigkeiten und Formulierungen verliert, haben die Ratten längst das getan, was sie am besten können: Sie haben sich angepasst. An das Verhalten der Menschen. An den Müll. An die Lücken im System.
Die Stadtverwaltung vertraut auf bestehende Strukturen. Der Ausschuss verweigert neue. Und die Bevölkerung bleibt zurück mit der Erkenntnis: Wer ein Rattenproblem hat, braucht kein Konzept – sondern Geduld, Glück und einen guten Kammerjäger. Den bestellt man wenigstens ohne Antrag.
Sehr guter Artikel der das Problem der Stadt Halle – nicht nur mir Ratten – hervorragend umreißt.
Manchmal fragt man sich, in welcher fremden Welt abseits jeder Realität diese Verwaltubgsangestellten und Stadtpoltiker leben.
Hier sollte man unbedingt Tabula Rasa machen, wenn die ersten 10% entlassen sind, werden die restlichen endlich anfangen ihren Job zu machen statt nur rumzuspinnen und sinnbefreit mit Papier um sich zu werfen.
Wir brauchen auch kein neues oder zusätzliches Konzept. Wir brauchen ein Ordnungsamt, das Regeln durchsetzt und nicht nur auf der Jagd nach Parksündern in der Innenstadt ist. Wann haben sie denn zuletzt deren Mitarbeiter mal auf Streife in den Pakrs gesehen, abgesehen vllt von Festen oder Hot-Spots….
Und was soll die Stadt auf nicht eigenen Grundstücken tun, ausser die Eigentümer angehen?
Ach ja…wieso ist plötzlich der Rattenantrag so diskussionswürdig? Über andere Anträge, die bereits von 2 Ausschüssen beraten worden, berichtet ihr doch auch nicht? Soll hier etwa durch die Hintertü zusätzlicher Druck auf den Rat ausgeübt werden?
Und was genau bringt denn ein neues Konzept? Soll es gedruckt werden, damit man damit die Ratten selber erschlagen kann? Denn zu was anderem ist das sicherlich nicht tauglich: Es wird die Fütterer nicht beeinträchtigen, es wird die Ratten nicht verschwinden lassen, es wird Grundstückseigentümer nicht zum Handeln zwingen.
Also ein Ordnungsamt, das Ordnung an einer Stelle ignoriert, um an anderer Stelle für Ordnung zu sorgen? 🤦♀️
Danke für den tollen Kommentar!!
Lieber Herr Meyer, ich finde Ihren Artikel sehr gelungen und ungewohnt erfrischend zu lesen. Bitte weiter so!
Wer kennt nicht das Märchen „der Rattenfänger von Hameln“. Wir bräuchten entsprechend den „Rattenfänger von Halle“
Der hatte die Ratten ertrinken lassen.Da würde heutzutage irgendein Tierschützer um die Ecke kommen und den Rattenfänger wegen Tierquälerei vor`s Gericht zerren.
Ich kann dem Artikelschreiber nur zustimmen. Die Stadtverwaltung hängt an alten Strukturen fest und verweigert sich den Realitäten. Hat man ja auch von Rebenstorf gehört bei dem Bauantrag von 1994. Der ist eben nicht von Papenburg und die Verjüngung des Resorts braucht eben das Schneckentempo. Hoffentlich finden die Ratten den Weg in die Stadtverwaltung, können dort Anträge anfressen.
Richtig so. Wir brauchen Konzepte, Konzepte, Konzepte … Wie pinkelt man gegen den Wind? Wie schmiert man sein Brötchen? Atmen neu gedacht! … Solange man sich deftig über Konzepte streitet, muss man ja nicht wirklich was machen.
Was gegen Ratten gemacht werden muss, braucht nicht hundert mal neu erfunden zu werden. Man muss es einfach nur mal TUN! Aber vielleicht wird es mit dem neuen OB ja ganz anders. Weg mit der Hundesteuer. Her mit den Hunden. Viel Hund -> Wenig Ratte!
Sehr guter Artikel!
Seit deutlich über 20 Jahren werden immer mehr Populationen von Ratten immun, weltweit unabhängig, gegen die gängigen Gifte. Einige Stämme haben die Giftköder in ihre Ernährung eingebunden.
Das ist eine Problem.
Das andere Problem ist, das wir aus komplexen Gründen, immer mehr Gifte zur Bekämpfung aus dem Verkehr ziehen müssen. Nahrungskette als Stichwort.
Noch ein Problem:
Totfallen sind nicht möglich. Tierschutz ist hier nur einer der Punkte.
Lebendfallen funktionieren nur stark eingeschränkt. Wohin dann mit den Gefangenen Tieren?
Was bleibt? Ich finde wir sollten den Ratten die sozialen Medien und lineares TV erklären. Das Problem löst sich dann von allein.