DGB-Maikundgebung in Halle: „Mach dich stark mit uns“ – Solidarität, Sorgen und politische Signale
Bei strahlendem Frühsommerwetter versammelten sich am 1. Mai 2025 hunderte Menschen auf dem Marktplatz von Halle (Saale), um den Internationalen Tag der Arbeit Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) unter dem Motto „Mach dich stark mit uns“ auf dem Marktplatz zu begehen. Viele Gewerkschaften waren mit Ständen vor Ort, ebenso Parteien und Stadtratsfraktionen. Kommunalpolitiker standen zu Gesprächen bereit. Auch für Kinder war gesorgt, beispielsweise mit einer Hüpfburg und einer Kinderbaustelle. Vor dem Stadthaus waren Flaggen der Gewerkschaften aufgezogen. Der Tag der Arbeit stand in diesem Jahr unter dem Eindruck einer wirtschaftlichen Krise, die besonders den Chemie-Standort Schkopau erschüttert, sowie im Zeichen drängender gesellschaftlicher Herausforderungen wie Fachkräftemangel, Investitionsstau und sozialer Ungleichheit.













Oberbürgermeister Vogt: „Balance zwischen Arbeit und Leben sichern“
Emotional und persönlich wurde es, als Halles Oberbürgermeister Dr. Alexander Vogt das Wort ergriff. Er erinnerte sich an die Maidemonstrationen seiner Kindheit, zu denen ihn sein Vater – selbst Bahnmitarbeiter – mitgenommen hatte. „Das fand ich immer beeindruckend“, sagte Vogt, „und heute weiß ich: Der 1. Mai ist aktueller denn je.“
Die vom DGB formulierten Forderungen seien wichtig für eine zukunftsfähige Gesellschaft, etwa Investitionen in Bildung und Infrastruktur. Als Kommune brauche man finanzielle Mittel für Schulen, Digitalisierung und Klimaschutz. Diese Investitionen seien elementar für den Standort Halle. Vogt unterstütze die Forderung nach mehr Tarifbindung und fairen Löhnen. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels seien gute Löhne und Arbeitsbedingungen entscheidend. „35 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen in den nächsten zehn Jahren in Rente – angesichts des Fachkräftemangels stehen wir vor großen Herausforderungen“, so Vogt. Er setze sich außerdem für faire Arbeitszeiten und einen starken Sozialstaat ein. „Die Balance zwischen Arbeit und Leben ist für unsere Bürgerinnen und Bürger von besonderer Bedeutung. Ein funktionierender Sozialstaat mit stabilen Renten und sozialer Absicherung sorgt für gesellschaftlichen Zusammenhalt und schafft Vertrauen in die Zukunft“, sagte Vogt.
Er betonte, dass er als Oberbürgermeister, gemeinsam mit dem Stadtrat, den Arbeitnehmervertretungen und den Beschäftigten selbst, zusammenhalten müsse. Denn man müsse Halle finanziell neu denken. „Wir müssen auf der einen Seite Einsparungen vornehmen. Auf der anderen Seite aber auch die zentralen Bausteine unserer weichen Standortfaktoren – wie Kultur, Soziales und Sport – unbedingt hier in Halle erhalten.“
In diesem Zusammenhang wolle er demnächst mit den Gewerkschaften in Kontakt treten und hoffe auf eine gute Zusammenarbeit. Die neue schwarz-rote Koalition plane Veränderungen, etwa die Einführung einer Tariftreue-Regelung. Öffentliche Aufträge sollen künftig nur noch an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden.„Bisher gewinnen oft Anbieter, die die Löhne drücken und es den Hallenserinnen und Hallensern dadurch nicht ermöglichen, ein Leben in Würde zu führen – mit ausreichend Einkommen, um ihre Familien zu ernähren und am gesellschaftlichen Leben, etwa im Sport oder in der Kultur, teilzunehmen“, so Vogt. Durch die geplante Mindestlohnerhöhung werde das Einkommen im Niedriglohnsektor steigen. Auch auf das Sondervermögen mit 500 Milliarden Euro Investitionsvolumen für die Infrastruktur der Länder und Kommunen setze Vogt große Hoffnungen.
Vogt machte deutlich, dass die Forderungen des DGB nach Investitionen in Bildung, Digitalisierung und Klimaschutz auch auf kommunaler Ebene voll unterstützt würden. „Das sind zentrale Zukunftsaufgaben – gerade für eine Stadt wie Halle“, so Vogt. Angesichts der demografischen Entwicklung sei es besonders wichtig, gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne zu gewährleisten. „35 Prozent der Arbeitnehmer gehen in den nächsten zehn Jahren in Rente. Wenn wir dem Fachkräftemangel begegnen wollen, brauchen wir attraktive Jobs mit Zukunft“, mahnte er.
„Eine Katastrophe“: Arbeitsplatzverlust bei DOW wirft Schatten auf die Kundgebung
Bedrückende Worte gab es von Dieter Macke, Betriebsrat beim Chemiekonzern DOW in Schkopau. Mit ernster Stimme sprach er von einer „großen Katastrophe“ und einem „Schock für alle Beschäftigten“, nachdem das Unternehmen angekündigt hatte, möglicherweise Produktionsanlagen in Schkopau und Böhlen zu schließen. Hunderte Arbeitsplätze sind bedroht, auch zahlreiche Zuliefer- und Partnerunternehmen blicken mit Sorge in die Zukunft.
„Die Stimmung in der Belegschaft ist am Boden“, so Macke. Man arbeite gemeinsam mit der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) an Konzepten zur Sicherung der Standorte. Auch der politische Dialog sei in Gang gesetzt worden. Macke kündigte an, dass Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) demnächst vor Ort erwartet werde, um mit den Beschäftigten ins Gespräch zu kommen. „Wir brauchen ein klares Bekenntnis zur Industrie in unserer Region“, forderte Macke und erntete zustimmenden Applaus.
Tarifverhandlungen, Streikrecht und ein starkes „Wir“
Im Mittelpunkt der Veranstaltung: die Hauptrede von Stephanie Albrecht-Suliak, Landesbezirksleiterin der IG BCE Nordost, die mit klaren Worten die sozialen und wirtschaftlichen Baustellen des Landes adressierte – und deutliche Forderungen an Politik und Wirtschaft formulierte. „Wir stehen für Solidarität, wir stehen für Stabilität, wir stehen für Aufbruch“, eröffnete Albrecht-Suliak ihre Rede unter dem Applaus der Zuhörenden. Das vergangene Jahr sei ein Jahr des gewerkschaftlichen Erfolgs gewesen. Rund 20 Millionen Beschäftigte profitierten von erfolgreichen Tarifverhandlungen – ein Verdienst harter Auseinandersetzungen, so die Gewerkschafterin: „Wir haben verhandelt, gemeinsam gekämpft und – wenn es sein musste – gemeinsam die Arbeit niedergelegt.“
Mit Nachdruck warnte sie die neue schwarz-rote Bundesregierung davor, das Streikrecht infrage zu stellen: „Hände weg vom Streikrecht!“ Das sei eine rote Linie für die Gewerkschaften, betonte sie. Gleichzeitig sicherte sie Unterstützung für jene Branchen zu, in denen Tarifverhandlungen noch ausstehen – etwa in der Stahlindustrie, bei Leiharbeitsverhältnissen oder im öffentlichen Dienst. Diese Unterstützung sei „gelebte Solidarität“ – und genau diese Solidarität sei es, die den Gewerkschaften Stärke verleihe: „Sie ist unser Korsett.“
Kampf gegen den Abstieg des Wirtschaftsstandorts
In ihrer Rede zeigte sich Albrecht-Suliak tief besorgt über die wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen-Anhalt. Besonders der Chemie-Standort – das mitteldeutsche Chemiedreieck – sei ins Wanken geraten. „Das ist Tradition und Innovationsstandort im Zentrum Europas“, sagte sie und kritisierte die plötzliche Ankündigung des Konzerns DOW, Produktionsanlagen in Schkopau und Böhlen zu schließen. „Die Nachricht kam wie ein Schlag ins Gesicht“, so Albrecht-Suliak.
Infolge dieser Entscheidung kündigte sie Protestaktionen an den betroffenen Standorten an. „Wir werden um jeden Arbeitsplatz kämpfen – in den Betrieben, auf der Straße und in der Politik.“ Es gehe dabei nicht nur um einzelne Jobs, sondern um ganze Wertschöpfungsketten und die Zukunft ganzer Regionen. „Wir werden nicht zulassen, dass Ostdeutschland wieder am langen Arm verhungert.“
Strukturwandel als Gemeinschaftsaufgabe
Auch der anstehende Kohleausstieg und der industrielle Strukturwandel standen im Fokus ihrer Ausführungen. Zwar lobte Albrecht-Suliak bereits angestoßene Projekte – wie Investitionen in Wasserstofftechnologie, Schienenausbau oder das Chemie-Großforschungszentrum CTC –, doch betonte sie zugleich: „Vieles davon ist noch nicht sichtbar und greifbar.“ Es brauche niedrigere Energiepreise, mehr Beteiligung, mehr Transparenz und technologieoffene Lösungen.
Der Wandel betreffe nicht nur die Kohle, sondern ebenso die Automobil-, Stahl- und energieintensive Industrien. Umso wichtiger sei das gewerkschaftliche Revierwende-Projekt, das die Perspektiven der Arbeitnehmer:innen in den Mittelpunkt rücke.
Alarmierende Tarifbindung und dringender Handlungsbedarf
Mit Blick auf die Tarifbindung in Sachsen-Anhalt zeigte sich Albrecht-Suliak schockiert: „Nicht einmal die Hälfte der Beschäftigten ist tariflich gebunden – das ist eine erschreckende Zahl.“ Dabei seien Tarifverträge ein zentraler Hebel für soziale Gerechtigkeit – zwischen Frauen und Männern, zwischen Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte.
Die Gewerkschafterin mahnte außerdem mehr Mitbestimmung in Betrieben an. Sie forderte die Bundesregierung auf, entsprechende Passagen im Koalitionsvertrag nun mit „Substanz zu füllen“ und die Mitbestimmung umfassend zu demokratisieren.
Auch zur Rentenpolitik bezog sie Stellung. Die geplante Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent bis 2031 sei ein gewerkschaftlicher Erfolg – aber kein großer Wurf. „Diese Vereinbarung reicht nicht weit genug. Die junge Generation wird davon kaum profitieren. Altersarmut darf keine Perspektive sein.“
Ausbildungsumlage, Pflege, Einzelhandel – das ganze Bild der Arbeitswelt
Ein weiteres Anliegen: die Einführung einer Ausbildungsumlage für Betriebe, die keine Lehrlinge ausbilden. Drei Viertel der Unternehmen in Sachsen-Anhalt würden dieser Pflicht aktuell nicht nachkommen. „Das ist ein Skandal“, so Albrecht-Suliak. Junge Menschen bräuchten Zukunftsperspektiven in ihrer Heimatregion.
Doch nicht nur Industrie und Ausbildung beschäftigten die Rednerin. Auch die Situation in der Pflege fand klare Worte: „Pflegende Angehörige dürfen keine finanziellen Einbußen erleiden. Pflege darf keine Armutsfalle sein.“ Es brauche gezielte Entlastung, staatliche Unterstützung und bessere Arbeitsbedingungen. Gleiches gelte für Berufe in Kitas, im Einzelhandel, in der Gastronomie oder im Handwerk. Gute Tarifverträge seien der Schlüssel, um Menschen für diese essenziellen Berufe zu gewinnen.
Klare Kante gegen Rechts
Den Schlusspunkt ihrer Rede setzte Albrecht-Suliak mit einer unmissverständlichen Positionierung gegen Rechtsextremismus. „Die AfD ist keine Alternative für Deutschland – sie ist das Aus für Deutschland“, sagte sie unter lautem Beifall. Die Partei spiele Beschäftigte gegeneinander aus und stehe auf Seiten der Reichen und Eliten. „Wir lassen uns nicht spalten. Wir kämpfen für eine starke, vielfältige und sozialgerechte Demokratie.“
Im Vorfeld der Kundgebung gab es noch zwei Demonstrationszüge – von der DGB-Jugend und vom Solidaritätsnetzwerk. Mehr dazu in den Artikeln zum Thema:










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