Schulsozialarbeit steht wegen wegfallender EU-Mittel vor dem Aus: Stadtrat von Halle (Saale) beschließt Resolution an das Land
Die Schulsozialarbeit in Sachsen-Anhalt steht vor einer ungewissen Zukunft. Spätestens ab August 2028 droht das Auslaufen der bisherigen Finanzierung durch EU- und Landesmittel – mit weitreichenden Folgen für Schulen, Kinder und Familien. Der Stadtrat von Halle (Saale) hat am Mittwoch ein deutliches Zeichen gesetzt: Mit 30 Ja-Stimmen und 22 Enthaltungen verabschiedete das Gremium eine Resolution an das Land Sachsen-Anhalt, in der eine dauerhafte, gesetzlich verankerte Finanzierung gefordert wird.
Damit schließt sich die Saalestadt einer wachsenden Zahl von Kommunen und Initiativen an, die seit Monaten Alarm schlagen. Für viele Stadträtinnen und Stadträte war die Botschaft klar: Ohne Schulsozialarbeit fehlt ein unverzichtbarer Baustein in der Bildungslandschaft.
Ein breites Bündnis im Rat
Der Antrag kam ungewöhnlich breit aufgestellt in den Rat: SPD, Hauptsache Halle, Bündnis 90/Die Grünen, Volt/MitBürger, Die Linke sowie FDP/Freie Wähler hatten die Resolution gemeinsam eingebracht. Das Votum zeigt: Über Parteigrenzen hinweg besteht Einigkeit, dass Schulsozialarbeit kein Luxus, sondern Notwendigkeit ist.
„Schulsozialarbeit ist ein wesentlicher und etablierter Bestandteil der Schule geworden“, sagte Philipp Pieloth (SPD) in der Debatte. Sie helfe nicht nur bei psychosozialen Problemen, sondern unterstütze auch Eltern und Lehrkräfte. „Wir können auf Schulsozialarbeit nicht verzichten, weil sie auch ein Anwalt der Schülerinnen und Schüler ist.“ Pieloth verwies auf die ungewöhnlich breite Allianz der Antragsteller: „Das zeigt, wie wichtig dieses Thema für den gesamten Stadtrat ist.“
Auch Friedemann Raabe (Volt), einer der Mitinitiatoren, sprach mit spürbarem Engagement: „Ich erinnere mich nur an positive Erfahrungen mit unseren Schulsozialarbeitern. Doch das Land hat sich in den letzten Jahren immer mehr zurückgezogen. Diese Resolution soll deutlich machen: Lasst die Kommunen nicht allein!“ Raabe warnte vor den „Spätfolgen“, wenn nicht rechtzeitig gehandelt werde – von Schulabbrüchen bis hin zu sozialen Folgekosten.
Ein Hilferuf mit klaren Forderungen
Die verabschiedete Resolution richtet sich an das Land Sachsen-Anhalt, genauer: an das Sozialministerium. Darin fordert der Stadtrat, die Schulsozialarbeit als dauerhafte Landesaufgabe anzuerkennen und bis zum 1. August 2028 in ein ausfinanziertes Landesprogramm zu überführen – rechtlich abgesichert durch ein Ausführungsgesetz nach §13a SGB VIII.
Zudem sollen:
– die bestehenden Projekte und die Netzwerkstelle für Schulerfolg bedingungslos weitergeführt und die Verträge entfristet werden,
– die Fachkompetenz der Stadt Halle bei der Bedarfsermittlung vom Land anerkannt werden,
– und künftig an allen Schulformen, die dies wünschen, Schulsozialarbeit dauerhaft etabliert und vom Land finanziert werden.
Ein Kraftakt, der nach Einschätzung der Ratsfraktionen aber notwendig ist, um die Bildungs- und Chancengleichheit in Halle langfristig zu sichern.
Zahlen, die Sorgen machen
Die Dringlichkeit der Forderung wird auch durch aktuelle Daten untermauert. Laut dem „FaktenCheck Bildung 2024“ der Stadt Halle haben im Schuljahr 2022/2023 rund 15 Prozent der jungen Menschen, die die Schule verließen, keinen Hauptschulabschluss erreicht – Tendenz steigend.
Die Zahl der Schulverweigerungen nimmt ebenfalls zu. Viele Jugendliche, so die Einschätzung der Fachleute, bräuchten mehr als nur Unterricht – sie bräuchten Menschen, die zuhören, vermitteln und Brücken schlagen. Genau hier setzt die Schulsozialarbeit an.
CDU und AfD enthalten sich – aus unterschiedlichen Gründen
Die Resolution wurde letztlich mit klarer Mehrheit angenommen, aber nicht einstimmig. 22 Stadträtinnen und Stadträte aus den Fraktionen der CDU und AfD enthielten sich der Stimme.
Claudia Schmidt (CDU) begründete die Haltung ihrer Fraktion so: „Auch uns ist die Schulsozialarbeit wichtig. Sie ist ein Instrument, um alle Schüler zu erreichen.“ Man werde sich der Resolution nicht verweigern, aber eine Neustrukturierung sei „Aufgabe einer neuen Landesregierung“. Kritisch sah Schmidt zudem, dass sich die Resolution an das Sozialministerium richtet – und nicht an das Bildungsministerium.
Alexander Raue (AfD) betonte, dass er selbst bislang nie direkten Kontakt mit Schulsozialarbeitern gehabt habe – weder als Schüler noch als Vater. „Aber unser Land hat sich verändert. Leider ist es notwendig geworden, dass Schulsozialarbeit Probleme auffängt, die früher in dieser Größenordnung nicht existierten.“
Raue nutzte die Debatte, um grundsätzlichere Kritik zu äußern: „Eigentlich bräuchten wir kleinere Klassen und mehr Lehrer. Viele Schulen sind mittlerweile ‚bildungsfreie Zonen‘. Das ist traurig.“ Die Ursachen sieht er auch in der Zuwanderung: „Viele Kinder kommen ohne ausreichende Deutschkenntnisse – das überfordert das System.“
„Wir brauchen ein klares Signal des Landes“
Deutlich emotionaler argumentierten Vertreterinnen der Koalitionsfraktionen. Claudia Dalbert (Bündnis 90/Die Grünen) verwies auf Forschungsergebnisse: „Schulsozialarbeit hilft jungen Menschen nachweislich, ihren Weg zu finden. Sie stärkt Familien, baut Brücken zwischen Elternhaus und Schule und verhindert Schulabbrüche.“
Sachsen-Anhalt habe den höchsten Anteil von Schulabgängern ohne Abschluss bundesweit, mahnte Dalbert: „Wir brauchen Schulsozialarbeit, um unseren jungen Menschen einen guten Start ins Leben zu geben. Jetzt ist der Moment, ein klares Signal des Landes zu senden – bevor die EU-Mittel versiegen.“
Hendrik Lange (Die Linke) ergänzte, dass viele Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter seit Jahren in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. „Sie werden von einem Projekt ins nächste geschoben – mit der Gefahr, dass sie irgendwann aufgeben und die Branche wechseln. Diese Menschen machen ihre Arbeit mit Herzblut. Es ist Zeit, ihnen endlich Sicherheit zu geben.“
Lange fordert daher eine gesetzliche Verankerung der Schulsozialarbeit auf Landesebene: „Die Kommunen können das allein nicht stemmen.“
Was die Resolution bedeutet – und was nicht
Mit der Verabschiedung der Resolution hat die Stadt Halle kein eigenes Geld in Aussicht gestellt – und kann das auch gar nicht. Aufgrund der angespannten Haushaltslage wäre eine Übernahme der Schulsozialarbeit durch die Stadt nicht finanzierbar.
Dennoch ist die Resolution ein politisches Signal an Magdeburg: Halle will die Schulsozialarbeit nicht opfern, wenn die EU-Förderung 2028 endet. Vielmehr fordert der Stadtrat, dass das Land endlich eine dauerhafte Verantwortung übernimmt.
In der Begründung heißt es: „Durch das Auslaufen der Schulsozialarbeit würde ein Bestandteil der Multiprofessionalität an Schulen wegfallen, der im SGB VIII §13a festgeschrieben ist. Vielfältige Problemlagen junger Menschen würden zunehmen – mit langfristig höheren gesellschaftlichen Kosten.“
„Wir werden laut“ – Zivilgesellschaftlicher Druck wächst
Auch außerhalb des Rathauses wächst der Druck auf das Land. Landesweit haben sich Initiativen wie das Aktionsbündnis Schulsozialarbeit oder die Kampagne „Wir werden LAUT!“ gegründet. Sie warnen davor, dass nach dem 31. Juli 2028 hunderte Stellen wegfallen könnten.
Schon jetzt berichten Träger von Problemen, qualifiziertes Personal zu halten – zu unsicher sind die Perspektiven. „Niemand möchte in einem Job arbeiten, der alle drei Jahre neu beantragt werden muss“, so eine Sozialpädagogin einer halleschen Sekundarschule, die lieber anonym bleiben möchte. „Wir sind Teil des Schulteams – aber unsere Finanzierung fühlt sich an, als wären wir nur Gäste.“
Mehr als Krisenbewältigung
Was Schulsozialarbeit in der Praxis leistet, lässt sich an vielen Schulen beobachten: Sie ist Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, vermittelt bei Konflikten, hilft bei familiären Problemen, vermittelt Hilfsangebote und unterstützt Lehrkräfte. Oft sind es die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die bemerken, wenn ein Kind still leidet oder zu Hause etwas nicht stimmt.
„Wenn Schulsozialarbeit wegfällt, verlieren viele Kinder ihre wichtigste Vertrauensperson“, sagt eine Grundschullehrerin aus der Südstadt. „Das betrifft nicht nur Problemfälle, sondern auch die, die einfach jemanden brauchen, der zuhört.“
Ein Appell über Parteigrenzen hinweg
Der Stadtrat von Halle hat mit seiner Resolution ein deutliches politisches Zeichen gesetzt – eines, das weit über die Stadtgrenzen hinausreichen könnte. Denn auch in anderen Kommunen des Landes steht die gleiche Frage im Raum: Wie ernst meint es Sachsen-Anhalt mit Bildungsgerechtigkeit?
Für Philipp Pieloth (SPD) ist die Antwort klar: „Wenn wir die Schulsozialarbeit verlieren, verlieren wir mehr als Stellen – wir verlieren Vertrauen, Stabilität und Zukunftschancen für junge Menschen.“













Aber dafür sind wir doch „sicherer Hafen“. Da können die Kinder doch auch mal zurückstecken.
Wer Geld für Waffen, Kriege und fremde Länder findet, der darf das eigene Land und dessen Kinder nicht vergessen.
Somit ist die Schulsozialarbeit gesichert.