Halle als Hotspot der Numismatik: 75 Jahre Landesmünzkabinett – wie unersetzliches Kulturgut für die Zukunft gesichert und erforscht wird

Mit einem Festakt am Samstag hat das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) das 75. Gründungsjubiläum einer seiner bedeutendsten wissenschaftlichen Einrichtungen gefeiert: das Landesmünzkabinett Sachsen-Anhalt. Die Geschichte dieser Sammlung ist eng mit dem kulturellen Wiederaufbau Mitteldeutschlands nach dem Krieg verbunden und spiegelt die tiefe Erkenntnis wider, dass Geld weit mehr ist als nur ein Tauschmittel – es ist ein essentielles Zeugnis von Kunst, Wirtschaft und Geschichte.

Ein Neuanfang aus einer schmerzlichen Lücke
Die offizielle Geburtsstunde des Landesmünzkabinetts schlug am 19. September 1950, als es als neuer, eigenständiger Sammlungsbereich innerhalb der damaligen Staatlichen Galerie Moritzburg Halle ins Leben gerufen wurde. Dieser Gründungsakt stellte zu diesem Zeitpunkt im gesamten deutschsprachigen Raum einen singulären Vorgang dar. Zwar blickt die Münz- und Medaillensammlung des Museums auf eine weitaus längere Tradition zurück, da bereits seit der Museumsgründung im Jahr 1885 fortwährend numismatische Objekte gesammelt wurden. Doch die Neubegründung eines universalen numismatischen Kabinetts in der Mitte des 20. Jahrhunderts war ein Zeichen entschlossener kulturpolitischer Profilierung.
Der heutige Leiter, Ulf Dräger, fasste die historische Bedeutung prägnant zusammen: „Wir sind ein Kind des Wiederaufbaus nach dem Krieg.“ Er erinnerte daran, dass zahlreiche bedeutende Sammlungen entweder zerstört, verkauft oder als Kriegsreparation in die Sowjetunion verbracht worden waren. Bereits 1947 habe es erste Zeitungsartikel über die bevorstehende Gründung gegeben, und 1950 sei der Startschuss gefallen. Die erste Eintragung in die Inventarlisten erfolgte am 3. November jenes Jahres, und sie wurden von Beginn an kontinuierlich als Sammlungsbereich des „Landesmünzkabinetts Sachsen-Anhalt“ geführt, was nach der Wiedervereinigung die Fortführung der Einrichtung wesentlich vereinfachte. Schon früh zeigte sich die enorme Dynamik des Kabinetts: Bis zum Jahr 1958 waren bereits 22.000 Münzen und Medaillen sowie 40.000 Geldscheine in die Sammlung aufgenommen worden.
Einen nicht zu unterschätzenden Anteil am Aufbau des Kabinetts hatte der bekannte Numismatiker und Dölauer Pfarrer Eberhard Mertens. Als Wissenschaftlicher Direktor der Sammlung formulierte er 1956 in der ersten Veröffentlichung des Landesmünzkabinetts die Motivation hinter dem Neuanfang. Er sah die Gründung als eine längst überfällige Maßnahme, da das Fehlen eines solchen Instituts „immer wieder als eine schmerzliche Lücke empfunden werden musste“. Mertens beklagte die damalige Verständnislosigkeit: „Ja, bedenkt man, dass der Heimatboden der Provinz Sachsen die schönsten und bedeutendsten Münzfunde hergegeben hat … und ihnen doch keine bleibende Stätte in ihrem mitteldeutschen Ursprungsland zu bieten verstand, … so wird man zugeben müssen, dass man hier unersetzlichem Kulturgute der Heimat mit einer vollendeten Verständnislosigkeit gegenüberstand.“ Mit der Begründung des Landesmünzkabinetts zeigte sich folglich erstmals in seiner institutionellen Struktur die Profilierung des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) als Landeskunstmuseum.

Die „Welt des Geldes“ ist in Halle zu Hause
Mit einem Bestand von heute circa 40.000 Münzen und Medaillen sowie 50.000 Geldscheinen zählt das Landesmünzkabinett Sachsen-Anhalt heute zu den 20 größten numismatischen Kabinetten in Deutschland. Man kann hier, im besten Wortsinn, die „Welt des Geldes“ zu Hause nennen.
Die Sammlung ist von einem universalen Anspruch geprägt und umfasst Objekte von der Antike bis in die Gegenwart aus allen Kontinenten und Kulturen. Besondere Bedeutung kommt dabei mehreren wichtigen Bestandsgruppen zu, darunter die umfassenden mittelalterlichen und neuzeitlichen deutschen Münzen, welche die Münz- und Geldgeschichte der historischen Territorien des heutigen Sachsen-Anhalts beleuchten. Darüber hinaus verfügt die Einrichtung über bedeutende Sammlungen europäischer Medaillen sowie asiatischer und anderer nichteuropäischer Geldzeichen, deren Bestände chinesischer und ostasiatischer Münzen zu den größten in Deutschland gehören. Ergänzt wird dies durch eine umfangreiche Sammlung deutschen Papiergeldes des 20. Jahrhunderts.
Dabei wird die Sammlung kontinuierlich erweitert und vertieft. In den zurückliegenden Jahren trugen großzügige Schenkungen und Ankäufe dazu bei, den Bestand sowohl qualitativ als auch in nicht unbedeutendem Maße quantitativ zu vergrößern. Dies zeige die Verankerung und Bedeutung der Einrichtung in der Gesellschaft, betonte Ulf Dräger beim Festakt. Ein früher Meilenstein in der Vermittlungsarbeit war bereits 1951 die Organisation der ersten Ausstellung im Mansfeld-Kombinat mit dem klaren Ziel, das Einschmelzen historischer Münzen zu verhindern.
Das Alleinstellungsmerkmal der modernen Medaillenkunst
Ein besonderer, profilbestimmender Schwerpunkt des Landesmünzkabinetts ist die Sammlung zeitgenössischer Kunstmedaillen. Diese Tradition wird im Museum bereits seit 1898 gepflegt und ist bis heute ein Alleinstellungsmerkmal. Halle gilt seit über 100 Jahren als ein weltweit bedeutendes Zentrum der Medaillenkunst, nicht zuletzt durch die prägende Lehrtätigkeit von Bildhauern wie Gustav Weidanz, Gerhard Lichtenfeld und Bernd Göbel an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Dr. Christian Philipsen, Generaldirektor der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, hob hervor, dass diese Rolle der modernen Medaillenkunst von Anfang an eine Rolle gespielt habe und „bis heute ein Alleinstellungsmerkmal“ der Einrichtung sei.

Mehr als nur Münzen: Kulturelles Erbe und Zukunftsfragen
Zu den zentralen Aufgaben des Landesmünzkabinetts zählen nicht nur das kontinuierliche Sammeln und Bewahren, sondern auch die Erforschung der Münz- und Geldgeschichte der Region, die Durchführung von Ausstellungen und Veröffentlichungen sowie die Unterstützung von Museen und Wissenschaftler*innen.
Beim Festakt wurde die hohe gesellschaftliche und kulturelle Relevanz der Numismatik von allen Seiten unterstrichen.
Dr. Christian Philipsen unterstrich die tiefe Verankerung des Themas im kollektiven Bewusstsein, indem er auf Redewendungen wie „Manche haben Geld wie Heu, manche schmeißen Geld sogar zum Fenster raus“ verwies. Er folgerte: „Sie alle kennen diese Sprichworte, unsere Sprache hat wahnsinnig viel davon.“ Dies zeige die immense Bedeutung von Geld, „egal ob wir es wollen oder nicht.“ Neben dem Sammeln nannte er die Forschung, die wissenschaftliche Beratung und die Bewahrung und den Ausbau der numismatischen Sammlungen des Landes als Kernaufgaben.
Dr. Sebastian Putz, Staatssekretär für Kultur, griff die Aktualität des Themas auf, indem er auf einen jüngsten TV-Bericht in der Tagesschau angesichts des digitalen Euros verwies, in dem die Frage aufgeworfen wurde, ob Bargeld überhaupt noch nötig sei. Er betonte, dass Geld eine hohe gesellschaftliche Bedeutung habe, die sowohl die kulturelle Bedeutung als Zahlungsmittel als auch die kunsthistorische Wichtigkeit umfasse. Daran zeige sich, dass die Numismatik nur auf den ersten Blick eine Nische sei. Das Landeskünzkabinett in Sachsen-Anhalt sei eine deutschlandweit führende Einrichtung.
Historisch vertiefte Dr. Hendrik Mäkeler von der Deutschen Bundesbank die Diskussion und erläuterte, dass das Studium der Numismatik für das Verständnis der Welt von grundlegender Bedeutung sei. An künstlerisch wertvollen Münzen habe man einst einen guten Herrscher erkannt, da sich sein Charakter hier widergespiegelt habe.
Die herausragende Rolle der halleschen Einrichtung wurde von höchster Stelle bestätigt: Prof. Dr. Bernhard Weisser, Vorsitzender der Numismatischen Kommission der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und Direktor des Münzkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin, adelte die Stadt mit dem Ausruf: „Halle ist der Hotspot der Numismatik.“ Dies liege auch an den Personen hinter dem Landesmünzkabinett, dessen heutiger Leiter Ulf Dräger seit 37 Jahren in der Einrichtung tätig sei und dessen Vorgängerin ebenfalls einen entscheidenden Schritt zur heutigen Bedeutung beigetragen habe.
Der Weg in die Alte Münze
Die Vermittlungsarbeit des Kabinetts erfuhr in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Höhepunkte durch numismatische, vor allem landesgeschichtlich interessante Sonderpräsentationen. Mit Ausstellungen wie Chinas Geld (2016) und Levon I. Ein armenischer König im staufischen Outremer (2019) hat die Einrichtung ihren Fokus bewusst auch international auf numismatisch-kulturgeschichtliche Blicke in ferne Länder gerichtet. Seit 2017 sind die faszinierenden Bestände zudem mittels der Medaillen auch Teil der permanenten Sammlungspräsentation.
Die Zukunft der Dauerausstellung wird jedoch alle bisherigen Formate übertreffen, wie Thomas Bauer-Friedrich, Direktor des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale), begeistert darlegte: „Zudem arbeiten wir derzeit an der Etablierung eines eigenen Dauerausstellungsraums für diesen Sammlungsbereich am authentischen Ort, in der Alten Münze im Untergeschoss des Südflügels der Moritzburg.“ Er freue sich schon heute sehr darauf, künftig einem breiten Publikum die faszinierende Welt des Geldes in einer einzigartigen Präsentation zugänglich machen zu können.
Das Landesmünzkabinett Sachsen-Anhalt ist somit nicht nur ein Ort der Bewahrung, sondern ein lebendiges Zentrum der Forschung und Vermittlung, das 75 Jahre nach seiner Gründung stärker und profilierter denn je ist. Es sichert ein unersetzliches Kulturgut und beweist eindrücklich, dass die Geschichte von Land und Leuten untrennbar mit der Geschichte ihrer Zahlungsmittel verbunden ist.
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