Tod von Oury Jalloh: Generalstaatsanwalt übernimmt

Die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg übernimmt die Ermittlungen im Todesfall des Asylbewerbers Oury Jalloh. Das hat Justizministerin Anne-Marie Keding im Rahmen ihres externen Weisungsrechts entschieden.
So habe die bislang zuständige Staatsanwaltschaft Halle das Verfahren „Oury Jalloh“ am 12. Oktober 2017 eingestellt. Es liege bis heute aber keine Begründung der Beschwerdeführerin gegen die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Halle vor. „Deshalb ist die Staatsanwaltschaft Halle gegenwärtig gehindert, das Verfahren entweder durch eine Abhilfeentscheidung oder durch Vorlage an die Generalstaatsanwaltschaft zu fördern“, heißt es in einer Erklärung. „Die tatsächliche und rechtliche Einschätzung der Umstände, die zum Tod von Oury Jalloh geführt haben, differiert zwischen der Staatsanwaltschaft Halle und der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau.“ Um diesen Konflikt aufzulösen, halte es die Ministerin für erforderlich, durch die Generalstaatsanwaltschaft eine Entscheidung treffen zu lassen, die nunmehr maßgeblich bestimmt sein wird durch eine eigenständige und gegebenenfalls durch weitere Ermittlungen gestützte Bewertung der Geschehnisse aus dem Jahr 2005 durch die Generalstaatsanwaltschaft selbst.
Ministerin Keding weist aber auch die von der Fraktion DIE LINKEN erhobenen Vorwürfe der Falschinformation entschieden zurück. Für den Vorwurf der Vertuschung lassen sich keine Anhaltspunkte finden. Die LINKE behauptet in ihrer Pressemitteilung vom 7. Dezember 2017 „Neu ist, dass ein Staatsanwalt diese These (Anm.: gemeint ist Anzündung durch Dritte) aufgrund aktueller Erkenntnisse für möglich hält.“
Das ist falsch. Vielmehr hat Frau Ministerin Keding in einer öffentlichen Sitzung des Rechtsausschusses in Anwesenheit zahlreicher Vertreter der Medien am 10. November 2017 durch Generalstaatsanwalt Konrad die Einleitungsverfügung der Staatsanwaltschaft Dessau vom April 2017 vortragen lassen. In dieser Einleitungsverfügung hatte der Leitende Oberstaatsanwalt Bittmann diese Hypothese bereits aufgestellt. Generalstaatsanwalt Konrad hat ausgeführt: „Deswegen hat sich die Staatsanwaltschaft Dessau (Ergänzung: im April 2017) entschlossen zu sagen: Wir bejahen einen Anfangsverdacht, stellen Hypothesen auf und sind jetzt in der Lage diese Ergebnisse dem Generalbundesanwalt anzudienen, (…).“ (Zitat aus dem vorläufigen Protokoll)
Im Zeitraum von April 2017 bis zur Einstellung des Verfahrens am 12. Oktober 2017 konnte die Öffentlichkeit nicht über den Ansatz der Dessauer Staatsanwaltschaft informiert werden, ohne mögliche Ermittlungen zu gefährden.
Keding sagt, es werde alles unternommen, was rechtsstaatlich möglich und geboten ist, um die Umstände des Todes von Oury Jalloh aufzuklären.
Zu den neuesten Informationen im Fall Oury Jalloh erklärt die Vorsitzende von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt, Susan Sziborra-Seidlitz: „Die heute bekannt gewordene, konkret formulierte Tatvermutung des Dessauer Staatsanwalts Bittmann macht angesichts der bereits gerichtlich festgestellten Lügen und Vertuschungen die Ermordung Oury Jallohs im Polizeigewahrsam noch wahrscheinlicher. Oury Jalloh muss endlich als Opfer von Polizeigewalt anerkannt werden. Die skandalöse Nicht-Aufarbeitung durch Polizei und Staatsanwaltschaft muss aufgeklärt werden. Nicht zuletzt, da die der erneuten Verfahrenseinstellung vorhergehende Abgabe der Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft Halle nun unter einem neuen Licht steht. Der Landtag, und damit die Öffentlichkeit, brauchen endlich vollständige Informationen. Die zuständige Ministerin Keding muss erklären, was sie wann wusste. Und schließlich, nachdem alle diese nötigen Schlussfolgerungen gezogen worden sind, steht die Verhinderung eines erneuten derartigen Vorkommens auf der Agenda: Sachsen-Anhalt braucht endlich einen unabhängigen Polizeibeauftragten.“
Zu den aktuellen Medienberichten im Fall Oury Jalloh erklären der Fraktionsvorsitzende Thomas Lippmann und die innenpolitische Sprecherin Henriette Quade: „Laut Bericht der MZ hielt es der Leitende Oberstaatsanwalt in Dessau für möglich, dass Oury Jalloh angezündet wurde, um weitere Todesfälle in Polizeigewahrsam in Dessau zu vertuschen. Die These selbst ist nicht neu. Fast 13 Jahre lang mussten sich diejenigen, die Sie ausgesprochen haben und die sagten ‚Oury Jalloh-das war Mord!‘ als Verschwörungstheoretiker, Spinner, Nestbeschmutzer und Unruhestifter gegen Staat und Gesellschaft beschimpfen und kriminalisieren lassen. 13 Jahre lang versuchte die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh Ermittlungen, die auch diesen Thesen nachgehen, anzuschieben und scheiterte damit. Kritik an der bisher geleisteten Aufklärungsarbeit wurde noch in der letzten Landtagssitzung als unzulässiges Misstrauensvotum gegen Polizei und Justiz und Missachtung der Gewaltenteilung dargestellt. Neu ist, dass ein Staatsanwalt diese These aufgrund aktueller Erkenntnisse für möglich hält. Die aktuelle Berichterstattung zeigt: Aufklärung ist notwendig! Der Fall Oury Jalloh muss auf mehreren Ebenen untersucht werden: Juristische Aufklärung ist genauso notwendig, wie politische. Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte darüber, warum so wenige Menschen und noch weniger verantwortliche Stellen dem Tod eines Menschen in Polizeigewahrsam ergebnisoffen nachgehen wollten und welche Rolle institutioneller Rassismus dabei spielt. Konkret muss der Frage nachgegangen werden, welche Konsequenzen sich für den polizeilichen Alltag ergeben. 2014 hat der Landtag es abgelehnt, die Praxis polizeilicher Ingewahrsamnahme auf den Prüfstand zu stellen. Genau das muss aber geschehen. Dazu gehört zwingend auch eine erneute Untersuchung des Todes von Mario Bichtemann und des Todes von Hans-Jürgen Rose. Dazu braucht es eine unabhängige und umfassende Untersuchung aller im Zusammenhang mit dem Tod Oury Jallohs stehenden Fragen durch eine unabhängige internationale Expertenkommission und endlich juristische Aufklärung. Dass diese außerhalb Sachsen-Anhalts erfolgen muss, liegt auf der Hand. Umso absurder ist die Weigerung des Generalbundesanwaltes, den Fall zu übernehmen. Zudem ist das aktuelle Informationsverhalten des Justizministeriums mehr als erklärungsbedürftig und muss ebenfalls untersucht werden. Denn nach wie vor gilt: Ohne investigativen Journalismus, die Nebenklage und die Arbeit der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh wüssten weder Abgeordnete, noch Öffentlichkeit von diesen staatsanwaltschaftlichen Einschätzungen. Sie wurden zum Teil sogar gegenteilig, also falsch, informiert. Dieser Verantwortung für Aufarbeitung muss sich Politik in Sachsen-Anhalt stellen. Auch das wird Aufgabe eines mittlerweile dringend notwendigen Untersuchungsausschusses sein müssen, genauso wie die Frage, warum die ermittelnde Instanz der Justiz erst nach 12 Jahren bereit war, diesen Möglichkeiten nachzugehen. Dass dem Rechtsausschuss verschwiegen wurde, dass die Staatsanwaltschaft Dessau diese Möglichkeit sah, ist ein Skandal, und reiht sich ein in die in wesentlichen Punkten offenbar nicht den Tatsachen entsprechende Darstellung der Ergebnisse der Gutachter und der Konsequenzen, die sich aus Sicht der Staatsanwaltschaft Dessau ergaben. Justizministerin Keding trägt dafür die Verantwortung und muss die Konsequenzen ziehen. Bereits jetzt ist durch diese Politik der Nichtinformation und Falschinformation ein erheblicher Vertrauensverlust in die Justiz entstanden. Ministerin Keding muss zurücktreten, auch um weiteren Schaden vom Amt abzuwenden.“
Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, Siegfried Borgwardt, zur aktuellen Berichterstattung im Fall Oury Jalloh: „Die Äußerungen der Fraktion DIE LINKE sind voreilig und ihre Forderungen unangemessen. Es gilt, verantwortungsbewusst mit diesem Thema umzugehen. Deswegen war es ein richtiger Schritt der Koalition, Akteneinsicht für die Mitglieder des Rechtsausschusses zu beschließen. Damit besteht die Möglichkeit, sich ein umfassendes Bild zur Sachlage zu machen. Deshalb stehen wir auch voll inhaltlich hinter der Erklärung der Ministerin Anne-Marie Keding, die die Ermittlungen an die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg übertragen hat. Voreilige Bewertungen verbieten sich daher an dieser Stelle!“
Zu den jüngsten Presseveröffentlichungen zum Fall Oury Jalloh erklärt die SPD-Fraktionsvor-sitzende Katja Pähle:
„Die heutigen Berichte der Mitteldeutschen Zeitung zeigen – wie auch schon der Monitor-Beitrag – deutlich, wie notwendig der Landtagsbeschluss war und ist, Einsicht in die Ermittlungsakten zu nehmen. Die SPD-Fraktion begrüßt, dass Justizministerin Keding ihre im Landtagsplenum geäußerten Rechtsbedenken zurückgestellt hat und der Vorlage der Akten nichts mehr im Wege steht. Durch die Medienberichte ist der Eindruck entstanden, dass die Berichterstattung von Generalstaatsanwaltschaft und Justizministerium im Rechtsausschuss lückenhaft war. Das gilt insbesondere für die Ermittlungen und Bewertungen der Staatsanwaltschaft Dessau. Für uns steht deshalb im Vordergrund, dass die Abgeordneten des Rechtsausschusses jetzt zügig und gründlich die Akten einsehen und sich selbst ein Bild von den Ermittlungen der beteiligten Staatsanwaltschaften und den Entscheidungen von Generalstaatsanwaltschaft und Justizministerium machen können. Erst danach sind weitergehende Schlussfolgerungen möglich. Der Fall Oury Jalloh ist eine offene Wunde unseres Rechtsstaates. Solange noch Chancen bestehen aufzuklären, was in der Gewahrsamszelle in Dessau wirklich geschah, müssen diese Chancen genutzt werden. Das jedoch bleibt Aufgabe der Justiz und kann nicht mit parlamentarischen oder anderen politischen Instrumenten geschehen.“
Zur Berichterstattung im Fall Oury Jalloh sagte der rechtspolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, Mario Lehmann, heute: „Die AfD ist die Partei der Rechtsstaatlichkeit. Genau deshalb vertrauen wir unserer Justiz. Die Bewertung der Staatsanwaltschaft Dessau ist bereits in die Bewertung der Staatsanwaltschaft Halle eingeflossen. Diese ist zu dem Ergebnis gelangt, dass das Verfahren nach fast 13 Jahren eingestellt werden soll. Herr Bittmann äußert in seiner Aktennotiz letztlich auch nur eine von verschiedenen, möglichen Hypothesen. Ich frage mich, warum er diese nicht bereits viel früher geäußert hat. Als ehemaliger zuständiger Chefermittler von Dessau hätte er die Ermittlungen zu seiner Zeit vorantreiben können. Die Wiederaufnahme des Verfahrens wäre nur gerechtfertigt, wenn es neue Erkenntnisse gäbe. Diese gibt es aber nicht, insofern bleibt es richtig, dass der Fall endlich ad acta gelegt worden ist. Genau aus diesem Grund werde ich morgen im Rechtsausschuss einen Antrag auf Nichtbefassung stellen.“
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