Finanzausschuss debattiert über die desaströse Finanzlage der Stadt: 139 Millionen Euro Minus im Nachtragshaushalt für 2025 und 140 Millionen Minus im Etat für 2026

Die Stadt Halle (Saale) steuert auf eine massive finanzielle Schieflage zu. Das wurde am Dienstag im Finanzausschuss des Stadtrats deutlich, in dem gleich zwei entscheidende Tagesordnungspunkte zur Haushaltslage diskutiert wurden. Sowohl für das laufende Jahr als auch für das kommende Jahr rechnet die Stadt mit dramatischen Defiziten. Ursprünglich war man für 2025 noch von einem Haushaltsüberschuss in Höhe von zehn Millionen Euro ausgegangen. Doch diese optimistische Erwartung wich nun der ernüchternden Realität eines Nachtragshaushalts, der ein Defizit von 139 Millionen Euro ausweist. Auch der Haushaltsentwurf für das Jahr 2026 gibt Anlass zur Sorge: Hier ist aktuell ein Minus von 140 Millionen Euro vorgesehen. Während der Nachtragshaushalt von allen Fraktionen außer der AfD angenommen wurde, wurde der Haushaltsentwurf für das kommende Jahr vorerst vertagt. Ein Beschluss soll erst nach weiterer Beratung gefasst werden.
Finanzdezernent Egbert Geier lieferte in der Sitzung eine detaillierte Analyse der Ursachen für das finanzielle Ungleichgewicht. Besonders ins Gewicht fällt der Rückgang bei den Steuereinnahmen. Die Stadt muss hier allein einen Rückgang von 42,1 Millionen Euro verkraften – ein Einschnitt, der die finanzielle Planung grundlegend erschüttert hat. Geier sprach von einem „extremen Hammer“. Doch auch andere Faktoren belasten die Haushaltskasse: Die Kosten für soziale Leistungen steigen, ebenso die Ausgaben für das städtische Personal, etwa durch Tarifsteigerungen oder notwendige Neueinstellungen. Hinzu kommt die stark gestiegene Zinsbelastung für laufende Kredite. Sparverhalten in der Bevölkerung zeigt sich zudem in geringeren Konzessionseinnahmen aus Strom- und Wasserverträgen. Allein dadurch verliert die Stadt rund 1,9 Millionen Euro.
Als besonders gravierendes Problem bezeichnete Geier jedoch die Auswirkungen des Finanzausgleichsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt. Seiner Ansicht nach werde Halle durch die bisherige Berechnungsmethode benachteiligt, da weiterhin die Zensusdaten zur Einwohnerzahl als Grundlage verwendet werden. Ein Wechsel zum Melderegister, das aktuellere und realistischere Zahlen liefert, könnte laut Geier die finanzielle Belastung um rund 40 Millionen Euro verringern. Doch selbst mit solch einer Korrektur bliebe ein strukturelles Defizit von etwa 100 Millionen Euro bestehen. Damit wird klar: Die Stadt Halle steckt in einer Finanzkrise, die sich nicht mit kleinen Korrekturen oder einmaligen Einsparungen lösen lässt.
Heftige Debatten im Ausschuss
Die dramatische Haushaltslage führte im Ausschuss zu teils heftigen politischen Auseinandersetzungen. Alexander Raue von der AfD sah die Ursachen der Krise weniger auf kommunaler Ebene, sondern vor allem in politischen Entscheidungen auf Bundesebene. Er sprach von einer „kopflosen Energiewende“, einer „Deindustrialisierung“ des Landes und kritisierte die hohen Kosten durch die Migrationspolitik. Die Bundesregierung habe mit ihrem Sondervermögen lediglich zusätzliche Schulden erzeugt. Nach Raues Auffassung könne die Stadt Halle rund 60 Millionen Euro mehr einnehmen, wenn sie nicht die Lasten der Migration zu tragen hätte. In scharfen Worten warf er der Stadtverwaltung „Insolvenzverschleppung“ und die „Vernebelung der Umstände“ vor.
Tim Kehrwieder von der FDP widersprach dieser Interpretation. Für ihn liegt der Ursprung der aktuellen Finanzkrise nicht in einem Verlust industrieller Kapazitäten, sondern in einer Konjunkturkrise, die durch verschiedene Faktoren der vergangenen Jahre ausgelöst wurde – insbesondere durch die Corona-Pandemie, den Krieg in der Ukraine sowie die Energiepreiskrise. Auch Bodo Meerheim von den Linken rief zur Versachlichung der Debatte auf. Er betonte, dass die Zahlen nun endlich auf dem Tisch lägen und man erkennen könne, wie dramatisch die finanzielle Lage tatsächlich sei. Für ihn sei es sinnvoll, beim Nachtragshaushalt keine Zeit mit Grundsatzdiskussionen zu verlieren, sondern den Fokus auf den kommenden Haushalt zu richten.
Trotz der politischen Differenzen wurde eines deutlich: Die Stadt wird um strukturelle Maßnahmen nicht herumkommen. Derzeit prüft die Verwaltung verschiedene Möglichkeiten zur Einnahmeerhöhung. Auf dem Tisch liegen unter anderem Pläne zur Anhebung der Grundsteuer, der Hundesteuer und zur Erhöhung von Gebühren für städtische Einrichtungen. Doch diese Maßnahmen stoßen nicht nur politisch auf Widerstand, sondern sind auch technisch an Fristen gebunden. So machte Finanzdezernent Geier deutlich, dass eine Erhöhung der Hundesteuer zum Jahresbeginn 2026 wegen zu knapp bemessener Fristen nicht mehr möglich ist.
Ausgaben im Blick
Doch auch auf der Ausgabenseite muss die Stadt handeln. Besonders kritisch ist die Entwicklung bei den sogenannten Hilfen zur Erziehung. Die Kosten für Heimplätze, die im Jahr 2017 noch bei etwa 4.000 Euro pro Monat lagen, sind inzwischen auf rund 10.000 Euro gestiegen. Sozialdezernentin Katharina Brederlow bezeichnete dies als bundesweiten Trend, auf den man lokal reagieren müsse. Die Stadt plant daher, mehr Kinder in Pflegefamilien unterzubringen, um die Ausgaben zu senken. Ob dieser Kurswechsel schnell genug Wirkung zeigt, bleibt abzuwarten.
Ein weiterer belastender Faktor ist der Umfang der freiwilligen Leistungen der Stadt. Hierzu zählen etwa Zuschüsse für Kulturangebote, Sportförderung und soziale Projekte. Diese Leistungen kosten Halle jährlich rund 90 Millionen Euro – weniger als das strukturelle Haushaltsdefizit. Das bedeutet: Selbst ein kompletter Wegfall dieser Leistungen würde die Haushaltslücke nicht schließen. Finanzdezernent Geier warnte davor, in diesem Bereich zu stark zu kürzen. Kultur und Sport seien entscheidend für die Attraktivität der Stadt als Wohn- und Arbeitsort.
Geier thematisierte außerdem die strukturellen Grenzen der Stadtentwicklung. So sei Halle im Vergleich zu anderen Städten flächenmäßig klein und verfüge über nur begrenzt erschließbare Gewerbegebiete. Hier fehle es an Raum für Investitionen und neue Arbeitsplätze. In anderen Bundesländern sei dieses Problem durch Eingemeindungen gelöst worden, doch Halle habe davon nicht in gleichem Maße profitiert. Dies wirke sich heute nachteilig auf die Einnahmesituation aus.
Ein weiteres Diskussionsthema war das Sondervermögen des Bundes in Höhe von 116 Millionen Euro. Noch ist unklar, inwieweit dieses Geld zur Haushaltskonsolidierung genutzt werden kann. Ursprünglich hatte die Stadt offenbar mit deutlich mehr Mitteln gerechnet. Die genaue Verwendung dieser Bundesmittel wird auch in den kommenden Sitzungen eine wichtige Rolle spielen.
Die Sitzung endete mit der Vertagung der Entscheidung über den Haushalt für das kommende Jahr. Während Alexander Raue von der AfD eine sofortige Weiterdebatte befürwortete, verwiesen andere Ratsmitglieder auf das eigens erstellte Fragenformular, in dem Stadträte ihre Detailfragen zum Haushalt eintragen können. Ziel ist es, die nächste Sitzung effizienter und zielgerichteter zu gestalten. „Eine gut eingelebte Praxis der letzten Jahren“, befand Eric Eigendorf (SPD).
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