Großprojekt Energiewende: Stadt Halle gibt grünes Licht für über 104 Millionen Euro Darlehen an die Stadtwerke

Die Stadt Halle (Saale) treibt ihre ambitionierten Klimaziele mit einem finanzpolitischen Kraftakt voran. Am Mittwochabend hat der Finanzausschuss der Stadt mehrheitlich dem Vorschlag zugestimmt, den Stadtwerken ein Gesellschafterdarlehen in Höhe von 104,5 Millionen Euro zu gewähren, die erste Tranche beträgt 8,9 Millionen Euro. Ziel ist es, die Energiewende in kommunaler Verantwortung umzusetzen – eine Aufgabe, die enorme finanzielle und technische Herausforderungen mit sich bringt.

Der Beschluss ist Teil eines langfristigen Investitionsplans, mit dem die Stadtwerke Halle GmbH bis 2035 rund 1,2 Milliarden Euro in zukunftsweisende Infrastrukturmaßnahmen investieren wollen. Die AfD-Fraktion stimmte als einzige Fraktion gegen das Vorhaben und übte scharfe Kritik. Der Stadtrat muss nächste Woche noch zustimmen.

Politischer Streit: Zustimmung mit Mehrheit – AfD sieht „Wertevernichtung“

In der teils hitzigen Debatte im Finanzausschuss prallten unterschiedliche politische Grundhaltungen zum Klimaschutz und zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben aufeinander. Udo Nistripke, Stadtrat der AfD, zeigte sich skeptisch: „Bei so einer großen Schuldenaufnahme bin ich sehr zurückhaltend. Die Stadt begibt sich damit auf einen gefährlichen finanziellen Pfad.“

Noch deutlicher wurde sein Fraktionskollege Alexander Raue: „Das ist keine Investition in die Zukunft, sondern eine ideologisch motivierte Wertevernichtung für die sogenannte Energiewende.“ Raue stellte klar, dass aus Sicht der AfD nicht kommunale Darlehen, sondern eine grundlegende Wende der bundes- und europapolitischen Vorgaben notwendig sei. Er kündigte an, dass nur eine AfD-geführte Bundesregierung einen Kurswechsel einleiten könne – mit dem Ziel, Energiepreise drastisch zu senken. Derzeit beobachte man bereits eine Deindustrialisierung, weil Unternehmen aufgrund hoher Energiepreise Deutschland verließen.

Deutlich widersprach Detlef Wend (MitBürger), der das Vorhaben mit klaren Worten verteidigte. Die Investitionen seien notwendig, wenn man das Ziel der Klimaneutralität ernst nehme: „Wir müssen das machen, wenn wir den Erdball noch länger bevölkern wollen. Es ist Augenwischerei zu glauben, alles könne so weiterlaufen wie bisher.“

Für Wend sei es gerade klug, jetzt in Vorleistung zu gehen und als Kommune Vorreiter zu sein. Halle nehme dabei bereits eine Vorbildfunktion in Sachsen-Anhalt ein.

Stadtwerke und Verwaltung betonen rechtliche und wirtschaftliche Notwendigkeit

Stadtwerke-Chef Mathias Lux und Finanzdezernent Egbert Geier verwiesen in der Sitzung auf die konkreten gesetzlichen Verpflichtungen zur Umsetzung der Energiewende, die sich für die Stadtwerke aus Bundes- und EU-Recht ergeben. Lux sprach von einem „historischen Investitionsprogramm“, das alle Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge umfasse – von Strom und Wärme über Mobilität bis hin zu Wasserwirtschaft und Abwasserentsorgung.

„Insgesamt benötigen wir in den kommenden zehn Jahren rund 1,2 Milliarden Euro“, so Lux. „Für unsere Verhältnisse ist das sehr, sehr viel Geld.“

Die Stadtwerke planen, die Summe zu etwa 50 Prozent über Kredite zu finanzieren. Weitere Mittel kommen aus staatlichen Förderprogrammen sowie rund 50 Millionen Euro Eigenkapital. Ein elementarer Bestandteil der Finanzierung ist dabei das Gesellschafterdarlehen der Stadt. Lux stellte klar: „Ohne diese Form der Finanzierung können wir die geforderten Investitionen nicht stemmen.“ Die Umsetzung gesetzlicher Vorgaben – wie das Verbot des Einsatzes von Erdgas ab 2045 oder die Umstellung des öffentlichen Nahverkehrs auf Elektrobusse bis spätestens 2029 – mache diese Schritte alternativlos.

Vorteile für Stadtkasse: Stadt verdient durch Weiterverleihung mit

Finanzdezernent Egbert Geier erläuterte die finanzielle Logik des Vorhabens: Die Stadt nehme die Darlehen selbst am Kapitalmarkt auf – zu besseren Konditionen als die Stadtwerke sie erhalten würden – und reiche sie dann als verzinsliche Gesellschafterdarlehen weiter. „Das ist nicht nur eine Unterstützung für unsere Stadtwerke, sondern auch eine Maßnahme zur Haushaltsoptimierung. Denn die Stadt bekommt über die Jahre mehr Mittel zurück, als sie aufwenden muss“, sagte Geier.

Die Stadtwerke zahlen die Darlehen inklusive eines Zinsaufschlags zurück. Der Haushalt profitiere damit langfristig durch zusätzliche Einnahmen. Geier betonte außerdem, dass alle Schritte mit der Kommunalaufsicht abgestimmt und genehmigt seien. Für die kommunale Wärmeplanung sei zudem eine zügige Umsetzung erforderlich – Halle fungiere dabei als Modellkommune („Best Practice“) in Sachsen-Anhalt.

Wo das Geld konkret gebraucht wird

Die Aufgabenliste ist lang: Bis 2029 dürfen für den ÖPNV nur noch emissionsfreie Busse beschafft werden – ein vollständiger Umbau des Busfuhrparks steht an. Die Stromnetze müssen ausgebaut werden, um eine flächendeckende Ladeinfrastruktur für E-Mobilität und Wärmepumpen zu ermöglichen. Die Fernwärmeversorgung soll dekarbonisiert und gleichzeitig ausgebaut werden. Die Versorgungssicherheit bei Trinkwasser und die Resilienz bei Starkregen oder Dürreperioden erfordern Investitionen in moderne Wasser- und Abwassertechnik.

Noch immer sind die Gaskraftwerke in Trotha und an der Dieselstraße das Rückgrat der städtischen Energieversorgung. „Aber ab 2045 dürfen wir kein Erdgas mehr einsetzen. In den 20 Jahren bis dahin müssen wir das irgendwie hinbekommen“, so Lux. Als Perspektive nannte er den möglichen Einsatz von grünem Wasserstoff.

Lux räumte zudem mit einem häufigen Vorurteil auf: „Die erneuerbaren Energien sind heute schon günstiger als Strom aus konventionellen Quellen.“ Ein klarer Widerspruch zur Argumentation der AfD, die steigende Strompreise durch den Umbau befürchtet.

Begründung der Stadtverwaltung in der Vorlage

Die Verwaltung der Stadt Halle (Saale) hat in ihrer Beschlussvorlage ausführlich dargelegt, warum das Darlehen notwendig und rechtlich geboten ist. Sie verweist auf die europäische Klimagesetzgebung, insbesondere die EU-Verordnung 2021/1119, die Deutschland verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber 1990 zu senken und bis 2050 klimaneutral zu werden.

Diese Ziele werden in Deutschland durch mehrere Gesetze konkretisiert: Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG), Gebäudeenergiegesetz (GEG), Wärmeplanungsgesetz (WPG)

Ergänzt werden diese durch weitere Vorschriften wie das Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungsgesetz, die Trinkwasserverordnung und die Kommunale Abwasserrichtlinie. Daraus ergeben sich umfangreiche Investitionspflichten für die Kommunen, insbesondere im Bereich Energieversorgung, Mobilität und Ressourcenmanagement.

Die Umsetzung dieser Maßnahmen erfordert laut Stadtverwaltung eine kluge Mischung verschiedener Finanzierungsinstrumente: Fördermittel, Fremdkapital, Innenfinanzierung – und eben auch Gesellschafterdarlehen, wie sie nun beschlossen wurden. Diese Darlehen gelten als eigenkapitalersetzend, sind verzinst, endfällig und im Rang zurückgestellt. Das heißt: Sie stärken die Bilanz der Stadtwerke und verbessern deren Fähigkeit, zusätzliche Kredite zu erhalten.

Für das Jahr 2025 ist zunächst eine erste Tranche in Höhe von 8,9 Millionen Euro geplant. Diese wurde bereits im Rahmen der Haushaltsgenehmigung durch die Kommunalaufsicht abgesichert. In den Folgejahren sollen weitere Teilbeträge folgen, vorbehaltlich der jährlichen Genehmigung durch die Kommunalaufsicht. Die Investitionsbank Sachsen-Anhalt (IB) hat signalisiert, dass sie das Vorhaben im Rahmen eines Pilotprojekts begleiten möchte.

Die Stadtwerke verpflichten sich, den aufgenommenen Zinsaufwand der Stadt vollständig zu übernehmen, inklusive eines Zuschlags zwischen 25 und 75 Basispunkten – ein Maß, das den Anforderungen des europäischen Beihilferechts genügt.

Update: Die 8,9 Millionen Euro kommen nicht zusätzlich obendrauf, wie zunächst geschrieben, sondern sind die erste Tranche.